Das wahre Leben zeigt manchmal Geschichten, die für mich viel beeindruckender sind, als es irgendwelche ausgedachten Szenarien je leisten könnten. Deshalb liegen mir auch solche Werke am Herzen, die zwar als Roman deklariert werden, aber eben mehr aus den eigenen Erfahrungen als aufgrund fiktionaler Einfälle resultieren. Helmut Kuhn hat im heutigen Buchtipp „Gehwegschäden“ eigentlich nichts anderes gemacht als ein Werk geschrieben, in dem es um eine aktuelle Sache geht – den langsamen Verfall unserer Gesellschaft. Unter dem Schleier der persönlichen Lebensgeschichte des fatalistisch denkenden Journalisten Thomas Frantz stellt er so eine Problematik in den Vordergrund, die allein durch ihre bloße Beschreibung zum Nachdenken anregt.
In Erinnerung an einen Döblin oder Musil lässt Helmut Kuhn seinen Hauptprotagonisten, ein einsamer Journalist ohne jegliche Arbeitsaufträge, durch alle Ecken Berlins spazieren. Von Lebensüberdruss geplagt treibt Frantz durch die Großstadt, pilgert in Wettbüros und macht Bekanntschaft mit religiösen Sekten jeder Art. Er begutachtet Demos und sieht dabei zu, wie sich unzählige Menschen täglich mit Aushilfsjob über Wasser halten. Um sich dauerhaft für das Leben zu begeistern suchen diese das Glück in Streetart und esoterischen Praktiken. Neben ihnen ist es vor allem die verwahrloste Jugend in den unterschiedlich heruntergekommenen Stadtteilen, die Frantz mehr oder weniger in den Bann ziehen und seine Melancholie um ein großes Accessoire erweitern. Daran etwas ändern kann auch nicht die hübsche Doktorandin Sandra, die versucht, dem Verbitterten wieder ein wenig Lebenslust einzuhauchen.